Lassen Sie uns beim Genieglauben einsteigen. Diesen beschreiben Sie als selbsterfüllende Prophezeiung. Warum beschreiben Sie den Prozess des Malens dann als aggressiven Akt? – Fehlt Ihnen hier der Glaube?
Nein, man führt Krieg gegen das eigene Unvermögen. Diesem Unvermögen stellt sich das Genie entgegen, denn es gilt, diese Schwäche zu überwinden. Man arbeitet als Künstler mit einem hohen Anspruch, und diesem Anspruch muss man genügen. Das lässt sich nicht beliebig abrufen, ist immer eine Frage von Intensität, von Atmosphäre, man muss in Stimmung kommen, um seine Leidenschaft freizusetzen. Ständig müssen technische Schwierigkeiten überwunden werden, denn plötzlich reagiert die Farbe falsch. Jene Farbe, die gestern großartig war, ist heute trotz gleichem Topf und gleichem Pinsel falsch. Um dem zu begegnen, braucht man Genie. Genie ist eine Bewegkraft, die es ermöglicht, die ganz normalen menschlichen Unzulänglichkeiten zu überwinden. Gelänge es uns, Vollendung auf einer anderen Ebene zu erreichen, dann ließe sich locker auf Genie verzichten. Aber dem ist nicht so. Also, gilt es – mittels Genie – die menschlichen Handicaps zu überwinden, um zu einer großen und einmaligen Leistung zu gelangen. Das ist der Kampf. Man kann ihn zärtlich führen, auch vernünftig, man kann ihn konzentriert führen oder zornig. Da ich von Hause aus ein zorniger Mensch bin, werde ich alle Schwierigkeiten, die ich im Leben habe, versuchen mit Gewalt, mit Zorn, mit Zugriff zu lösen und das ist meine Eigenheit.
Also, Disziplin plus Arbeit plus Ehrgeiz plus Wut gleich Genie?
Auch eine Lösung. – Es gibt keinen Maler, der Großartiges geleistet hat, ohne dieses Genie. Und ich empfinde es immer als albern, wenn das in den einschlägigen Diskussionen auf den Genie-Begriff des 19. Jahrhunderts reduziert wird. Das gehört hier nicht hin. Genie ist einfach nur eine Voraussetzung, die man braucht, um das Gewöhnliche, das Menschliche, das Handicap des Seins zu überwinden. Genie ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Künstler betreiben einen Beruf, der das Außergewöhnliche zur Norm hat. Dieser Erhabenheit müssen wir entsprechen, sonst entstehen keine guten Bilder. Und sich Tag für Tag mit dem herausragenden Bilderschaffen von Jahrtausenden zu messen, ist kein Pappenstil. Stellen Sie sich diese Herkules-Aufgabe vor! Dass ich dabei noch gut gelaunt bin und meine Heiterkeit nicht verliere, ist ein Wunder. Die Leute können sich das nicht vorstellen, was es heißt, Künstler zu sein, mit diesem Wissen um die Qualität, was zur ständigen Herausforderung wird. Es ist nicht so, dass ich Gitarre spiele, vor mir eine Kerze auf dem Tisch, hinter mir hübsche Mädchen tanzen und mich bestaunen, während ich ein Bildchen male, das ich für teures Geld verkaufe. Das wäre zu schön, irgendwie hab’ ich mir das sicherlich anfänglich so ausgemalt. Aber ich kann Ihnen versichern, dass diese Flausen im Zuge meines gigantischen Ehrgeizes schnell verflogen sind.
Wikipedia hat für Sie eine eigene Kategorie erfunden, die weder Immendorff, Baselitz, Penck, nicht einmal Beuys oder Meese ziert, sie heißt „Kritik am Werk“. Müsste das nicht eigentlich in die Unterkategorie „Ehrungen“ aufgenommen werden? Schmeichelt Ihnen das?
Und was steht da noch so?
Wikipedia ist eine demokratisch-plebiszitäre Enzyklopädie im Internet. Wenn man da Ihren Namen eingibt, werden 13 Seiten ausgespuckt, und dann hat man eigentlich ein relativ umfassendes Bild über das, was Sie in den letzten 50 Jahren so geschaffen haben.
Und da reichen 13 Seiten? Also, ich dachte es wäre mehr.
Beispielweise das Teeren und Federn der Mozart-Skulptur in Salzburg wird darin erwähnt.
Ich scheine zu provozieren. Aber provozieren will ich nicht, weil Provokation unter meinem Niveau ist. Ich gebe immer das Beste, muss aber meinen Ideen und Vorstellungen folgen. Dabei passiert es, dass gewisse bürgerliche Aggressionen geweckt werden. Das ist nicht gewollt. Ich habe einen anderen Anspruch. Zu provozieren, ist für den Künstler eine ziemlich dumme Beschäftigung. Das können andere besser. Ich hingegen will nicht provozieren, damit ist die Sache für mich abgehakt. Ich setze mich nicht mehr damit auseinander.
Das heißt, Sie lesen auch die Kritiken im Feuilleton nicht.
Möglichst nicht, die Kritiken im Feuilleton sind miserabel. Die meisten Kritiker schreiben ein schlechtes Deutsch, dann recherchieren sie falsch, schreiben meinen Namen nicht korrekt und sind überaus nachlässig. Wenn sie sich dies als Sportreporter leisteten, dann stünde schnell die Entlassung ins Haus. Fehlen aber handwerkliche Kenntnisse, dann ist es müßig, sinnvoll über Kunst zu schreiben.
Der Künstler aber, um Künstler zu sein, muss das Handwerk besiegen. Dieser Schritt vom Handwerk zur Kunst macht den Künstler aus und treibt ihn um und an. Ohne dieses Wissen bleiben alle künstlerischen Errungenschaften dem Betrachter und ganz besonders dem ‚Kritiker’ fremd.
Aber da gibt es doch Journalisten der Kunstpresse, die anders in die Tiefe gehen können.
Mag sein, aber die meisten schauen nur auf den Markt und folgen seinen Mechanismen. Sie orientieren sich daran und nehmen zur Grundlage ihrer Wertung, wie viel etwas kostet. Sie machen es sich eben einfach. Im Gegensatz zu all den momentanen Kunsterscheinungen ist die Malerei inzwischen bei sich selbst gelandet. Früher war sie auch für die Religion, Politik oder für die Gesellschaft zuständig, es gab nichts anderes. Eine großartige Situation, die sich aber auf die Intelligenz der Betrachter verlassen muss. Und wenn die Intelligenz nachlässt – wir haben es ja mit einer riesigen Verblödung in der Welt zu tun – kann es sein, dass wir Maler wie alle Götter zwar nicht sterben, aber in der Dämmerung verschwinden.
Sie haben über den Markt gesprochen.
Ich rede nicht über den Markt. Wirklich nicht.
Über Preise?
Auch nicht.
Gut. Zurück zur Komplexität in der Kunst. Wie verhält es sich in diesem Kontext mit einem schwierigen Werk, beispielsweise mit den Arbeiten eines Ihrer Vorgänger an der Akademie in Düsseldorf – Joseph Beuys?
Seine Kunst und sein Schaffen wurden zur Legende. Das ist großartig bei Beuys, und Beuys ist einer der größten Künstler unserer Zeit. Er hat es geschafft, eine eigene Wahrnehmung für seine Kunst zu entwickeln. Er braucht kein Werk, er braucht nur die Legende. Und Legenden brauchen Devotionalien. Eine Badewanne an der Wand bleibt immer eine Badewanne, aber es wurde daraus die Devotionalie einer Idee. Seit Joseph Beuys tot ist, wurde die Zitrone in einer seiner Vitrinen wieder eine einfache Zitrone. Vorher, als er noch lebte, war sie heilig und voller Magie. Meiner Meinung nach gibt es seit seinem Tode keine Beuys-Ausstellung mehr, die funktioniert. Die Ausstrahlung von Beuys ist eben nicht konservierbar. Solange er lebte, war alles wunderbar und voller Faszination, er war selbst die Kunst. Er war ein Gott.
Also, brauchen wir Beuys nicht mehr?
Nein, seine Geschichte reicht völlig aus. Ich kenne ihn. Wir haben zusammen studiert. Er ist eine Kunstlegende, er ist ein Phänomen wie Polyklet, der berühmteste Bildhauer der Antike. Keine einzige Skulptur von ihm ist erhalten. Und dennoch versinnbildlicht Polyklet die höchste Form der Kunst. Beuys Zeichnungen sind wunderbar. Sie liegen in der Tradition seines Lehrers Ewald Mataré. Es sind zauberhafte und wunderschöne Blätter, aber die haben nicht diese ästhetische Revolution ausgelöst. Das geschah durch sein späteres Werk. Und diese ästhetische Revolution, die er mit seiner Kunst formuliert hat, spielt sich mittlerweile in unseren Köpfen ab. Er übt einen ungemeinen Einfluss auf Haltung und Selbstverständnis aus. Er ist einer der großen Mentoren des erweiterten Kunstbegriffs. Und das ist seine große Leistung.
Also, lassen Sie im Prinzip nur sein Frühwerk bis zu den frühen siebziger Jahren gelten?
Sie haben mich völlig falsch verstanden, Werk und Mensch zusammen erscheinen großartig. Die documenta Honigpumpe präsentierte sich von ungeheurer Wirkkraft, wenn Beuys daneben stand, verlor jedoch nach seinem Tod schwindsüchtig an Strahlkraft. Da ich nicht zur Ehrfurcht vor Devotionalien neige und nie Götzen angebetet habe, stelle ich zusammenfassend fest: Beuys hat auf seinem Wege die höchste Form von Kunst erreicht. Er ist eine Legende geworden. Und für uns Künstler immer präsent.
Alte Sujets: Drachenfels, Zyklop, Schwarz-Rot-Gold, Micky-Mouse-Motiv – haben Sie selber noch Bilder davon? Oder ist das alles in den Museen, in den Sammlungen?
Ich habe noch viele meiner Bilder.
Sammeln Sie Lüpertz?
Nein. Das interessiert mich nur am Rande. Mich kümmert immer nur das, was ich gerade mache. Deswegen gehe ich gerne auf Ausstellungen von Lüpertz, weil ich den mag.
Wie wichtig sind Ihnen Grafik und Plakate?
Ich bin nicht bekannt für meine Grafik. Mein grafisches Werk ist klein und sehr speziell. Meistens mache ich Kaltnadelradierungen, die in Korrespondenz zu Skulpturen stehen. Zudem habe ich wunderschöne Holzschnitte gemacht. Zumeist sind sie großformatig, und es besteht die Gefahr, dass sie eine Konkurrenz zu den Bildern werden, und das möchte ich vermeiden. Ich habe also ein etwas ambivalentes Verhältnis zur Grafik. Gelegentlich ist es aber eine Fährte, die ich schön finde und der ich dann auch gerne nachgehe. Wie Sie wissen, habe ich eine Jazz-Gruppe und immer, wenn wir Konzerte geben, entwerfe ich ein Plakat dazu. Für jede Jazz-Session gibt es ein Plakat, ganz selbstverständlich.
Ist es das noch?
Für mich gilt das noch. Da ich ja diese Internetgeschichte nicht wahrnehme, ist das für mich so. Wenn ich eine Ausstellung mache, will ich ein Plakat und entwerfe es dann.
Ich freue mich, dass Sie das machen. Ich habe sehr früh angefangen, Kunst zu sammeln, und Plakate waren damals das, was ich mir leisten konnte. Und da wurde auch noch plakatiert, das passiert ja heute kaum noch.
Ja, aber wenn wir Plakate drucken, dann werden sie auch aufgehängt. Sie werden nicht so flächendeckend plakatiert, wie wir es gerne hätten, aber sie werden an den gängigen Orten, vom Rathaus bis zur Kneipe, gezeigt.
Zurück zu Ihrem Werk: „Die Anmut des 20. Jahrhunderts wird durch die von mir erfundene Dithyrambe sichtbar gemacht“ – eines Ihrer Zitate aus dem Jahr 1965.
Überlegen Sie mal, wie weise und vorausschauend fortschrittlich ich damals schon war!
Ganz schön schlauer Satz, ja. Was mich daran hat aufmerken lassen: Sie sprechen von „Anmut des 20. Jahrhunderts“, eben haben Sie aber von der Verblödung der Gesellschaft gesprochen, und dahinter würde ich wahrscheinlich eher einen Haken machen. Welche Anmut meinten Sie?
Das vergangene Jahrhundert hatte seinen besondern Reiz, und es machte Sinn, das herauszustellen und mit den eigenen Arbeiten hervorzuheben. Heute muss ich die Anmut alleine tragen.
War denn 1965 so viel besser?
Sehr viel besser, oh ja. Ich hasse es, wenn alte Männer davon ausgehen, früher war alles besser. Es war ja nicht wirklich besser im umfassenden Sinne. Es war aber in meinen Gefilden einfach offener. Kultur hatte eine ganz klare Definition. Sie dürfen nicht vergessen, wenn Sie in den sechziger Jahren von Kunst sprachen, redete man selbstverständlich von Malerei und Bildhauerei. Angetrieben von dieser Selbstgewissheit blies die Avantgarde zum Sturm auf die Grenzen der Kunst. Und was wird heute unter Kunst gehandelt? Nun die Auftritte von Lady Gaga fallen heute für viele unter den Begriff Kunst. Ich führe das Beispiel ohne Häme an. Das ist eben so. Erweiterter Kunstbegriff halt. Wenn ich von Anmut sprach, meinte ich dieses spezielle Metier der Malerei, das in der Atmosphäre der Bohème Knospen treibt und zur Blüte bringt. Früher prägten Künstler ganze Stadtviertel und ihr Lebensstil galt den Bürgern als fremd und erfrischend anders, heute werden Maler und Bildhauer, Musiker und Tänzer einfach übersehen, und eine Stadt wie Berlin lässt sich unterhalten von Friseuren und Serienstars.
Ich schwenke zurück zur Akademie: Penck, Kounellis, Trockel, Immendorff, Wall, Doig und Ihren Amtsnachfolger Tony Cragg – also die ganz großen Namen haben Sie nach Düsseldorf geholt und damit auch den Fortbestand des Führungsanspruchs der Akademie definiert. In Hamburg oder München gelingt das nicht so gut. Hatten Sie eine besondere Ansprache?
Der einzige Erfolg, den ein Künstler hat, ist der Respekt der Kollegen. Ich habe immer intensive Freundschaften zu Künstlern gepflegt, und die kamen dann wegen mir an die Akademie. Mein großes Kommunikationstalent hat mir in der Position des Rektors sehr geholfen, und die Künstler vertrauten mir. Weniger selbstbewusste Leiter von Akademien haben peinlich darauf geachtet, möglichst unter ihrem Niveau zu berufen, damit die eigene Position nicht in Gefahr geriet. Auf diese Weise wurden fast alle Akademien dieser Republik mit Fleiß ruiniert.
Von Ihrer ersten documenta Teilnahme 1977, der documenta VI, sind Sie zusammen mit Georg Baselitz zurückgetreten, weil erstmals DDR-Regimekünstler eingeladen wurden.
Übrigens trat auch Gerhard Richter zurück. Das wurde nie erwähnt, die Presse schrieb nur von mir. Bei den anderen haben sie sich nicht getraut. Penck war zusammen mit den DDR-Künstlern eingeladen worden. Diese stellten dann ein Ultimatum, wenn Penck kommt, kommen wir nicht. Prompt wurde Penck ausgeladen und die DDR-Künstler kamen. Dagegen haben wir uns in aller Form gewehrt, Briefe geschrieben und bei der Pressekonferenz unsere Protestadressen auf die Plätze der Journalisten gelegt. Ich habe meine Bilder damals zurückgezogen. Die Medien berichteten dann, ich hätte dies aus Angst vor der Gegenüberstellung mit dem Triptychon von Francis Bacon getan. So ein Quatsch! In diesem Opportunismus der Medienvertreter ist meine große Abneigung zur deutschen Presse begründet.
Das wird heute anders dargestellt. Und Sie haben damals einen hohen Preis gezahlt.
Selbstverständlich. Das durfte damals nicht sein und dementsprechend auch nicht geschrieben werden. Sie waren so stolz und glücklich, dass die DDR-Künstler auf der documenta vertreten waren. An diesem Glück durfte nicht gekratzt werden. Sich dem Diktat der DDR-Oberen gebeugt zu haben, halte ich bis heute für unverzeihlich und werfe es den hörigen Kritikern vor. Die aber machten damals in mir den Gegner aus und, um von ihrem Wankelmut abzulenken, schlugen sie wild auf mich ein. Für meine freche Schnauze zahle ich einen hohen Preis, das ist richtig. Aber vor Francis Bacon kneifen, wie die Presse glauben machen wollte, das ist eine infame Behauptung. Damals hingen Bacons Bilder meinen schwarz-rot-goldenen Bildern gegenüber. Und die können sich mit allem messen.
1989 wurde in Frankreich unter dem Titel „Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen“ eine Retrospektive von Ihnen gezeigt – eine Retrospektive von einem Unter-50-Jährigen. Ist das, vor allem wenn er sich augenscheinlich bester Gesundheit erfreut, nicht ein bisschen früh?
Das kann ich nicht sagen. Eine Rückschau auf das, was man gemacht hat, kann von momentanem Erkenntniswert sein. Interessiert mich jedoch weniger. Ich persönlich lege keinen großen Wert auf Retrospektiven. Ich finde immer, was getan ist, reicht längst nicht aus. Ich sehe auf das Heute und was ich noch machen werde, da interessiert mich die Vergangenheit nicht. Ich habe mit „früher“ wenig zu tun.
Wenn wir von Werkphasen sprechen: Mir ist aufgefallen, dass Sie in unterschiedlichen Werkphasen unterschiedlich signiert haben. Sie haben in Ihren dithyrambischen Phasen mit „Markus“ signiert. Sie signieren heute überwiegend mit Ihrem „ML-Monogramm“, gelegentlich aber auch mit „Lüpertz“.
Mit „Lüpertz“ nur ganz selten, auf Grafiken und in Katalogen. „Markus“ habe ich vornehmlich für die dithyrambischen Arbeiten verwendet. Dann ging ich nach Köln, und anfänglich kam es bei der Signatur zu Spielereien mit der Silhouette des Doms. Das hat aber keine tiefere Bedeutung. In der Tat ist es ganz witzig, wenn man sich damit auseinandersetzt. Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, ich hab’ signiert, wie ich wollte. Früher hab’ ich erst signiert, dann gemalt. Heute vergesse ich häufig die Signatur. Ist vielleicht das Alter.
Ich bin überzeugt, dass Michael Werner Sie darauf aufmerksam macht.
Ja, dann muss ich sofort in die Galerie. Wenn es heißt, die 20 frischen Bilder sind alle nicht signiert. Das passiert mir halt.
Sie sagten einmal: „Das Leben eines Künstlers endet immer tragisch.“ Weil ungemalt Bilder zurückbleiben?
Das Leben eines Künstlers endet immer tragisch, weil er immer aus dem Schaffensprozess gerissen wird. Wir kommen ja nie an. Es gehört zur Tragik des Künstler-Seins, dass wir nicht ewig leben. Deswegen versuchen wir, den Tod durch unsere Werke zu besiegen.
Lassen Sie mich ins Aktuelle schweifen: Im Lübecker Grass-Haus zeigten Sie jüngst zwischen Zeichnungen und Skulpturen illustrierte und interpretierte Lyrik zu den Themenkreisen Krieg, Tod, Liebe und Kunst.
Mit dem Begriff Illustration tue ich mich schwer, denn ich illustriere nicht. Wenn ich einen Stahlhelm male, ist es keine Illustration des Kriegs, sondern eine ganz eigene Darstellung des Stahlhelms mit allen seinen Belastungen. Wenn er richtig herum auf dem Kopf sitzt, ist es ein Krieger. Wenn er auf dem Rücken liegt, wie eine Schildkröte, dann ist es eben Frieden. Ich male Gegenstände. Für die Geschichte der Gegenstände bin ich nicht zuständig. Wenn Sie den Gegenstand Apfel malen, denken Sie an Herbst, an schöne Frauen, an pralle Brüste, und wenn Sie einen Stahlhelm malen, denken Sie automatisch an Krieg. Wenn Sie ein Messer malen, können Sie an eine Operation, einen Mord denken oder einfach ans Brotschneiden. Das ist der Reichtum der Malerei. Aber der Künstler illustriert nicht, ich setze ein Rätsel zusammen.
Hat dieser Ort, das Grass-Haus, zwischen Bildender Kunst und Literatur für Sie eine besondere Ausstrahlung?
Ich habe gerne im Grass-Museum ausgestellt, da ich Günther Grass bewundere und verehre. Er hat mit ‚Hundejahre’ eines der wichtigsten Bücher der deutschen Nachkriegsliteratur geschrieben. Es steht bei mir für eine bestimmte Düsseldorfer Akademiezeit. Ich bin an die Akademie gekommen, als er gerade gegangen war. Deswegen sind wir uns dort nicht mehr begegnet. Aber die Zeit, die er beschreibt, habe ich noch erlebt. Mit Günther Grass wird ständig der Begriff Doppelbegabung verbunden. Das habe ich für mich ausgeräumt. Ich bin keine Doppelbegabung. Nur weil ich dichte und Musik mache und male und bildhaue, bin ich keine Doppelbegabung, sondern alles ist unter dem Gesichtpunkt der Malerei zu sehen. Es ist eine Äußerung des Malers. Mein großes Vorbild in diesen Zusammenhängen ist Michelangelo, der die schönsten Sonette seiner Zeit geschrieben hat. Er ist für mich der größte Dichter der Renaissance. Aber kein Mensch würde bei Michelangelo jemals von einer Doppelbegabung reden, nur weil er Architektur gemacht und Gedichte geschrieben hat. Ich schreibe nur deshalb Gedichte und mache Musik, um mich mit Kultur zu umgeben, weil ich in einem Bewusstsein der Kultur und eines kulturellen Raums lebe. Das alles artikuliert sich eben in Theaterbesuchen, Opernbesuchen bis hin zum Gedichte schreiben. Das ist ein ganz bestimmter Kosmos, in dem ich mich aufhalte. Die meisten meiner Freunde sind Künstler oder haben etwas mit Kunst zu tun. Ich lebe eben im Kosmos der Kunst und dazu gehört auch, dass man sich mit Neigung und mit Talent auch außerhalb der eigenen Disziplin beschäftigt.
Aber in Lübeck haben Sie Ihre Lyrik das erste Mal so intensiv in ein Ausstellungskonzept eingebunden.
Ja, weil dieses Museen ein Literatur-Museum ist. Es ist ein Literat, der dem Haus seinen Namen gegeben hat, und ein Literat, der als bildender Künstler angefangen hat und immer noch künstlerisch tätig ist und hier präsent ist.
„Der Tod hält ein zartes, dünnes Glas / In seiner knochigen Hand / Unendlich vorsichtig / Randvoll mit Tränen, / Den nicht geweinten./ Dass auch nicht eine / Mein Starren trübt / Mein Starren auf den Tod“. Sie haben vier Gedichte auf die Wände aufgebracht und diese durch Zeichnungen begleitet. Zum Ende der Ausstellung wurde alles überstrichen. Ist das für Sie eine hässliche Vorstellung?
Wieso denn? Die Ideen sind ja nicht verschwunden. Die hatten wahrscheinlich ihre liebe Not, die Fettkreide von den Wänden zu kriegen. Nein, das ist normal, das muss auch so sein. Es ist eben an die Wand geschrieben. Es ist albern, dass die Leute versuchen, etwas Spontanes zu erhalten, das ist nicht Sinn der Sache und läuft der Spontaneität zuwider. Es ist eben ein Privileg für diejenigen, die die Ausstellung gesehen haben, und für die, die sie nicht gesehen haben, ist es ein Verlust. Dann müssen sie nächstes Mal hingehen. Das sehe ich locker, ich habe das für die Ausstellung gemacht, um den manuellen oder persönlichen Zugriff sichtbar zu machen. So weit, so gut und schon gegessen.
Herr Professor Lüpertz, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
Das Gespräch mit Professor Markus Lüpertz führte Rene S. Spiegelberger am 28. Oktober 2013 im Atelier in Teltow bei Berlin.