Gallery Weekend Berlin 2015 + Mehr geht nicht!

Gregor Hildebrandt "schwarze und weiße Kerze (Orpheus und Eurydike (Gluck))", 2015 cassette tape and acrylic paint on canvas 211 x 103 cm, Gallery Wentrup, 31 TEUR/pp
Gregor Hildebrandt
Installationsansicht in der Gallery Wentrup

Es ist nicht mehr aus dem Kunstkalender wegzudenken. Hätte Berlin nicht schon lange unter Beweis gestellt, dass es die deutsche Kunstmetropole ist, wäre dieser nunmehr erbracht. Nicht nur die Kunstszene des Rheinlands meldet in der Hauptstadt Vollständigkeit und staunt, auch das internationale Publikum würdigt das Großereignis mittlerweile mit einer Vielzahl von Besuchen. Obgleich das so einfach gar nicht nachvollziehbar ist, schließlich ist englisch ohnehin längst offizielle Amtssprache der Berliner Szene. Mag dies auf einen Hanseaten zwar durchaus verstörend wirken, so lässt sich dennoch wohlwollend anmerken, dass die Internationalität doch so mannigfaltig ist, dass der Griff zum angelsächsischen Idiom tatsächlich als Pragmatismus bei der Durchschlageübung von Promi-Galerie über Künstleratelier zu In-Spot gewertet werden darf.

Atelier Jonas Burgert
Atelier Jonas Burgert

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So war es also auch für diejenigen, die Willens waren den Tag der Arbeit auch als solchen zu nehmen und die Pflastersteine für die Friedensdemo zugunsten eines eng gesteckten Galerie-Kalender links liegen zu lassen und bereits hinter die ersten 15-20 Ausstellungsräume ein Häkchen zu setzen, eine kaum bewältigbare Aufgabe. Nur wer diese Taktung bis zum Sonntag aufrecht erhielt, war dicht daran alles gesehen zu haben. Wirklich alles? Nicht ganz. Schließlich gibt es ja auch noch ein Rahmenprogramm. Offene Ateliers, Museen, Auktionshäuser mit Vorbesichtigungen, Off-Spaces, Firmen-Kunst-Events und Künstler-Dinner. Am Sonntag Abend durfte man es dann also guten Gewissens mit Timm Ulrichs halten und sagen ‚Ich kann keine Kunst mehr sehen!‘.

Zum Aperitif wurden bereits am Donnerstag-Abend Langzeitbelichtungen gereicht und niemand geringer als Professor Dr. Eugen Blume vom Hamburger Bahnhof hielt eine bemerkenswerte Rede auf den anwesenden Michael Wesely, der an passender Stelle unter anderem mit Arbeiten zum Rückbau des Palastes der Republik beeindruckte. Galerist Clemens Fahnemann schaffte es einmal mehr als Mittler zwischen Kunst und Wirtschaft eine Tripple-Win-Situation zu schaffen. Neben der Kunst und einer hochkarätigen Gästescharr sah man auch bei den Vertretern der Bertelsmann Hauptstadt-Repräsentanz in glückliche Gesichter, denn endlich wurden ihre musealen Räume adäquat bespielt und gewürdigt. Die angeregten Gespräche mit aufgeregten Wesely-Freunden ließen zudem darauf schließen, dass die großformatigen Unikate als 1 von 1 Abzüge um 20’ EUR auch keinesfalls zu hoch angesetzt waren, denn augenscheinlich wechselten einige Werke in wichtige Sammlungen

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Weiter ging es dann nach Kreuzberg. Typisch für Christian Awe platzierte er sein neues Hauswand-Projekt ‚Adanzé’ in einem der Problembezirke der Großstadt und lockte dank seines bemerkenswert akzentuierten Marketings in eigener Sache Politik, Wirtschaft und Sammler an diesen Hotspot. Parallel zur Enthüllung des zweiten über 150 Quadratmeter großen Werkes an der Spree adressierte er seine politische Botschaft der interkulturellen Freundschaft in einem vollen Kinosaal an ein euphorisches Publikum und überzeugte damit sogar den anwesenden Kultursenator, dass Kunst mehr kann und weiter reicht, als manch Marktpreis-Rekord glauben macht. Dennoch gilt insbesondere auch bei Awe und nicht nur bei seinen Enthüllungs-Events: Frühes kommen sichert die besten Plätze! Die fünf glücklichen Sammler, die sich nicht zum Veranstaltungsbeginn von dem exzellenten fliegenden Buffet und dem hervorragenden Winzerwein ablenken ließen und sich für 1000 EUR eine der fünf farbgewaltigen A4-formatigen Vorstudien sicherten, haben Ihr Geld sicherlich sinnvoll angelegt.

Christian Awe's 162 Quadratmeter messendes Wandbild Adanzé bei seiner Enthüllung in der Hauptstraße 117 in Berlin-Schöneberg
Christian Awe’s 162 Quadratmeter messendes Wandbild Adanzé bei seiner Enthüllung in der Hauptstraße 117 in Berlin-Schöneberg
A4-Studie von Christian Awe zu Wandbild Adanzé für 1 TEUR verkauft
A4-Studie von Christian Awe zu Wandbild Adanzé für 1 TEUR verkauft

Wer dann noch Energie und einen vollen Tank gegen die Weitläufigkeit der Stadt aufbringen konnte, wurde in Weißensee für seine Beharrlichkeit belohnt. Hierin lud Malerstar Jonas Burgert in sein Atelier ein. Obgleich Atelier etwas zu bescheiden für die circa 6000 Quadratmeter messende ehemalige Industrie-Brache ist, die er erworben hat und nun sukzessive mit fünf Künstlerkollegen zu einer aufsehenerregenden Kulturstätte aufwertet. Über Einhundert mehr oder weniger prominenten Künstlerkollegen folgten seiner Einladung und zeigten hier ihre Arbeiten unterschiedlicher Disziplinen. Mit dabei waren neben vielen anderen Andreas Slominski, John Bock, Alice Kwade, Ralf Ziervogel, Thomas Zipp, Nasan Tur, Anton Henning oder Michael Borremans. Gegen Mitternacht zählte das Event bereits 5000 Besucher.

Atelier Jonas Burgert
Atelier Jonas Burgert
Alica Kwade im Atelier Jonas Burgert
Alica Kwade im Atelier Jonas Burgert
Andreas Slominski im Atelier Jonas Burgert
Andreas Slominski im Atelier Jonas Burgert

Die Folgetage wurden von vielen der Kunstjünger dann genutzt, um der neuen bemerkenswerten Galerie-Location von Johann König in einer entweihten 60er Jahre Kirche von Architekt Werner Düttmann einen Besuch abzustatten. Den oberen Teil des Hauptschiffes bespielte Katharina Grosse. Für Ihre Formate auf 4 x 4 Meter müssen Sammler 146’ EUR anlegen. Trotz der Preise und der spektakulären Räumlichkeiten bleibt mir auch hier eine euphoriefreie Betrachtung der überformatigen Abstraktionen leicht möglich und ich kann mir meine Aufregung für das Untergeschoß aufsparen. Das ist für die meisten Shopping-Budgets auch leichter handhabbar. Hier halten 5 Jeppe Hein Ballons für 31’TEUR neben einer sehr starken Maske von Michael Sailstorfer für 18’ EUR den kritischen Besucher-Blicken spielend stand. Auch die Zeitzonen-Arbeit von Alice Kwade wird für 21’ EUR bei der derzeitigen Rezeption ihres Werkes sicherlich nicht in einem Fehlinvestment münden, zudem es sich hierbei um das letzte Unikat dieser Reihe handelt.

Katharina Grosse in der Galerie Johann König
Katharina Grosse in der Galerie Johann König
Neue Arbeiten von Jorinde Voigt bei Johann König
Neue Arbeiten von Jorinde Voigt bei Johann König

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Apropos Alica Kwade: Gregor Hildebrand stellte bei Wentrup eine bemerkenswerte Rauminstallation vor. Besonders beeindruckend die Arbeit „weiße Kerze (Orpheus und Eurydike (Gluck)“, 2015 wie gewohnt ausgeführt als ‚cassette tape and acrylic paint on canvas’. Für das großformatige Werk auf 210 x 111 cm lautet der Aufrufpreis 31 TEUR.

Gregor Hildebrandt  "schwarze und weiße Kerze (Orpheus und Eurydike (Gluck))", 2015 cassette tape and acrylic paint on canvas 211 x 103 cm, Gallery Wentrup, 31 TEUR/pp
Gregor Hildebrandt
„schwarze und weiße Kerze (Orpheus und Eurydike (Gluck))“, 2015
cassette tape and acrylic paint on canvas
211 x 103 cm, Gallery Wentrup, 31 TEUR/pp

Eine weitere Pilgerstätte des Wochenendes bot natürlich Daniel Buchholz in der Fasanenstraße. Hier zeigte Isa Genzken neue Werke und es gab dazu die Gelegenheit in den Genuss der schönen Antwort des Galeristen ‚So einfach ist das nun auch nicht’ auf die Frage ‚Wie ist das denn, wenn ich hier jetzt so eine Arbeit kaufen möchte’ zu kommen. So die charmante Formulierung für den Klartext: Die Arbeiten kosten ab 220 TEUR, sind aber bereits alle verkauft!

Charakters von Isa Genzken bei Galerie Buchholz, um 220 TEUR (jeweils verkauft)
Charakters von Isa Genzken bei Galerie Buchholz, um 220 TEUR (jeweils verkauft)

 

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